Alleingelassen mit dem Virus

Für an Corona erkrankte Obdachlose gibt es noch immer keine Quarantänestation

  • Marten Brehmer
  • Lesedauer: 4 Min.

Auch nach Monaten des Tauziehens zwischen Bezirken und Senat ist nicht absehbar, wann eine Quarantänestation eröffnet werden kann, in der sich positiv getestete Obdachlose isolieren könnten. Ohne solch eine Einrichtung sind Notübernachtungsstellen oftmals gezwungen, Obdachlose, die sich infiziert haben, zurück auf die Straße zu schicken – selbst wenn Symptome vorliegen. Bis April hatte der Senat drei solcher Quarantänestationen bereitgestellt, die mit dem Auslaufen der Kältehilfe jedoch entfielen. Mit den sinkenden Temperaturen wächst nun die Sorge bei den Vertretern von Einrichtungen der Obdachlosenhilfe.

»Die Situation ist unglaublich unbefriedigend«, sagt Elisa Lindemann. Sie ist Sprecherin des Arbeitskreises Wohnungsnot, in dem sich über 70 Organisationen und Einrichtungen der Obdachlosenhilfe zusammengeschlossen haben. Selbst leitet sie die Notübernachtung Marie in Mitte. »Wir können in den Einrichtungen keine Lösungen anbieten«, bedauert Lindemann. Um Mitarbeiter und andere Bewohner zu schützen, könnten Obdachlose, die am Eingang positiv getestet werden, nicht aufgenommen werden.

Zugleich könne man die Erkrankten an keine andere Übernachtungsstelle verweisen. Krankenhäuser würden nur Obdachlose mit sehr starken Symptomen aufnehmen. In den meisten Fällen bleibe so keine andere Möglichkeit, als die Betroffenen wegzuschicken. Betroffene hätten ihr im Nachhinein berichtet, sich in Toilettenhäuschen oder Zelten notdürftig isoliert zu haben, sagt Lindemann. Insgesamt 74 solcher Fälle habe es seit April bereits gegeben, wie eine interne Abfrage unter den Einrichtungen ergeben habe.

Der Streit über die fehlenden Quarantänemöglichkeiten für Obdachlose zieht sich schon seit mehreren Monaten. Bereits im Juli hatten Notübernachtungsstellen mit einem Brandbrief auf die Situation aufmerksam gemacht. Die Unterzeichnenden, zu denen auch Einrichtungen unter Trägerschaft der Stadtmission und der Arbeiterwohlfahrt (AWO) gehören, sprachen von »unterlassener Hilfeleistung«. Die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales verwies darauf, dass mit Beginn der Kältehilfe wieder eine Quarantänestation eingerichtet werden solle.

Dieser Termin ist jedoch offensichtlich nicht eingehalten worden. Zum Start der Kältehilfe wurde zwar weiter die Einrichtung einer Quarantänestation zugesagt, ein konkreter Öffnungstermin wird jedoch nicht genannt. Stefan Strauß, Pressesprecher der Senatssozialverwaltung, spricht auf nd-Anfrage inzwischen von einer Eröffnung im Winter. Man stehe im Austausch mit den Einrichtungen der Obdachlosenhilfe und werde abhängig vom Infektionsgeschehen wieder eine Quarantänestation aufbauen. Einen Termin will aber auch er nicht nennen.

Am politischen Willen mangelt es dabei nicht. Die drei Koalitionsfraktionen SPD, Grüne und Linke waren sich bei ihren Klausurgesprächen Ende August einig, dass schnellstmöglich durch das Land Quarantänemöglichkeiten geschaffen werden sollen. Eine Lösung scheitert jedoch am Kompetenzgerangel: Bis es wieder ein zentrales Angebot gibt, sieht der Senat die Bezirke in der Verantwortung. Die fühlen sich jedoch von der Aufgabe überfordert. Im Juli hieß es, dass keiner der zwölf Bezirke Quarantänemöglichkeiten bereitstellen würde.

Doch nicht nur zwischen Bezirken und Senat herrscht Uneinigkeit über die Zuständigkeit – auch innerhalb des Senats war es lange Zeit strittig, wie viel Verantwortung die Senatsverwaltungen für Soziales und für Gesundheit jeweils an der zukünftigen zentralen Quarantäneeinrichtung tragen sollen. Erst am Dienstag wurde entschieden, dass die Sozialverwaltung allein für die Quarantänestation verantwortlich sein soll.

Taylan Kurt, sozialpolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, zeigt sich angesichts der Entscheidung zweckoptimistisch: »Nach dem langen Behörden-Pingpong ist es gut, dass die Zuständigkeit jetzt geklärt wurde, jetzt muss es darum gehen, die Quarantäneeinrichtung zügig zu eröffnen.« Das Problem sei seit Monaten bekannt, daher dürfe nicht länger gewartet werden. Er wünscht sich eine dauerhafte Einrichtung des Landes, denn: »Corona wird uns leider erhalten bleiben.«

Die Situation wird dadurch erschwert, dass auch Übergangslösungen nur schwer umzusetzen sind. Der Senat könnte zwar kurzfristig Hotelräume für die Isolation von infizierten Obdachlosen anmieten – jedoch müsste zur Versorgung auch medizinisches Fachpersonal angestellt werden, das langwierig angeworben werden müsste. Weil unter Obdachlosen psychische und Suchterkrankungen weit verbreitet sind, ist eine bedarfsgerechte Versorgung aufwendig, wie Elisa Lindemann darstellt. Umso wichtiger sei es, dass schnell eine Quarantänestation auf den Weg gebracht werde. Von der Politik ist Lindemann enttäuscht: »Seit Monaten wird uns gesagt, dass sich um eine Lösung gekümmert wird, aber es passiert nichts.«

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